Weikersheim Der Atem kann ins Stocken kommen: Wann hat man schon einmal ein dreihundert Jahre altes Schreiben in der Hand? Und was für eins: Ein Schreiben, eigenhändig unterzeichnet von Carl Ludwig Graf von Hohenlohe und Gleichen, Herr zu Langenburg und Cranichfeld!
Am 20. Dezember 1715 signierte er das Schreiben, bei dem bereits die Anschrift aus heutiger Sicht rekordverdächtig wirkt. Sie lautet: „Dem durchlauchtigsten Fürsten, Herrn Ernst Friedrich, Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg, auch Engern und Westfalen, Landgrafen in Thüringen, Markgrafen zu Meißen, gefürstetem Grafen zu Henneberg, Grafen zu der Mark und Ravensburg, Herrn zu Ravenstein und meinem gnädigsten Herrn – Hildburghausen“. Kein Wunder, dass die hohen Herren Schreiber brauchten...
Hildburghausen in Thüringen, leicht südöstlich von Meiningen im Werratal gelegen, zählt mit seinen zehn Teilorten und gut 11.500 Einwohnern heute allenfalls zu den Unterzentren. Damals war der Ort fürstliche Residenz, Sehnsuchtsland etwa für die Hugenotten, die ab 1711 hier eine nuee Heimat fanden.
Fürst Ernst Friedrich I. muss, ähnlich wie der Weikersheimer Graf Carl Ludwig, ein recht fortschrittlich denkender Mensch gewesen sein. Den Bildungsschliff erhielt er unter anderem bei seiner „Kavalierstour“, die ihn nach Holland, England und Frankreich führte, ehe er 1715 nach dem Tod seines Vaters die Regierung antrat. Reichlich fortschrittliche und prunkende Ideen hatte er im Kopf: Eine Saline legte er an, die Neustadt in Hildburghausen, rund um den aufwändig gestalteten Schlossgarten einen Kanal. Dass er dem Sonnenkönig in Sachen Hof- und Militärprunk nacheiferte, führte zu Steuererhöhungen, die seine Untertanen phasenweise recht rebellisch machten.
Wie auch immer: ein Neujahrsgruß verbindet: Schon im 15. Jahrhundert pflegte man in Adelskreisen die Sitte, einander gute Wünsche zum neuen Jahr zukommen zu lassen. Im Bürgertum war man erst im 19. Jahrhundert soweit, die Sitte in großem Stil zu übernehmen.
Zurück nach Weikersheim: Was war's, das Graf Carl Ludwig dem Sachsenherzog wünschte? Lesen Sie selbst: „Bei anjetzo bevorstehender Jahresabwechslung habe aus untertäniger Devotion meiner Schuldigkeit zu sein erachtet, Euer Durchlaucht meine gehorsamste Gratulation abzustatten. Der Allerhöchste wolle dieselbe diese höchsterwünschte Zeit noch vielmalen erleben lassen, damit das Aufnehmen dero hohen Hauses beständig vermehrt und deroselben Glückseligkeit jedesmal mit dem Jahr erneuert werden möge.“ Ein wohlklingender Gruß, natürlich höfisch formvollendet.
Die Schlussformel gerät ebenso gekonnt: „Anbei mich zu ferneren Gnaden gehorsamst empfehlend verharre in geziemendem Respekt Eurer Durchlaucht untertäniger Diener Carl Ludwig von Hohenlohe Weikersheim.“
Linguisten und Psychologen werten den Gruß zum Jahreswechsel als sozialen Kitt, der, kommt er auf Papier und vorzugsweise von Hand geschrieben, bis heute sozusagen als Beziehungsupdate wirkt. Carl Ludwig pflegte offensichtlich recht gekonnt – und die Beziehungspflege trug in der Folgegeneration trefflich Frucht: Nachdem Carl Ludwigs Sohn, der Erbprinz Albert Ludwig Friedrich, 1744 im Alter von 28 Jahren beim Karlsbergritt verunglückt war, gelang es, dessen Witwe Christiane Louise, Herzogin von Schleswig-Holstein-Norburg-Plön mit Ernst Friedrichs Ludwig Friedrich zu verehelichen. Gefeiert wurde groß: Carl Ludwig richtete dem Paar 1749 im Lustschloss auf dem Karlsberg ein standesgemäßes Hochzeitsfest aus.
Immerhin zehn Jahre Ehestand war dem Paar beschieden, ehe Ludwig Friedrich 1759 verstarb und Christiane Louise nach Weikersheim zurückkehrte, wo sie bis zu ihrem Tod 1778 lebte. Bestattet wurde sie – selbstverständlich ebenfalls in geziemendem Respekt - in der Gruft der Weikersheimer Stadtkirche.
Entdeckt hat der Weikersheimer Sammler Roland Kroneisen die 300 Jahre alte Grußbotschaft zur „Jahresabwechslung“ bei einer Auktion. „So etwas findet man heute nicht mehr auf dem Flohmarkt“, sagt er, und steuert mit Carl Ludwigs Bildnis schnell noch eine weitere Rarität bei. A propos Bild: Ludwig Friedrich, den zweiten Gatten Christiane Louises und Sohn des Adressaten des Weikersheimer Neujahrsgrußes kann man im Schloss zu Weikersheim kennen lernen. Sein Bildnis ist im Vorzimmer des Rittersaals zu finden, gleich links der Eingangstür.