Andreas Richert ist nach Berlin gezogen. Der Kurstadt, viele Jahre auch künstlerische Heimat, bleibt er dennoch treu.

 

Bad Mergentheim Es ist ein beachtliches Oevre, das Andreas Richert in 25 Jahren geschaffen hat. Anlässlich seines Umzugs aus der Kurstadt nach Berlin präsentierte er im Forum in der Au erstmals Arbeiten aus 25 Jahren graphischer und plastischer Arbeit.
Nach Berlin-Friedrichshain hat es Anfang Oktober den Mergentheimer gezogen. In der Finowstraße bezog er ein Atelier, das nicht nur Werkstatt ist. Berlin gibt’s schon aufgrund der Größe der Stadt her, regelmäßig Dienstags und Sonntags auch Lesungen und Kleinkunstformate anzubieten. Seine Taubertaler Fans kennen das schon: Bei Ausstellungseröffnungen erlebten sie Andreas Richert schon oft als  gekonnt zurückgenommen rezitierenden Literaturkenner, als Gaukler und wunderbaren Zauberer, der nicht nur bekannte Magiertricks beherrscht,  sondern auch etwa die hohe akrobatische Kunst der Kontaktjonglage, bei der er schon mal kiloschwere Glaskugeln in der Luft schweben zu lassen scheint.


Jetzt also präsentierte der aus Gießen stammende Maler, Bildhauer und Performancekünstler, der seit 1990 in zahlreichen Museen und Galerien weit über den jeweiligen Lebensmittelpunkt hinaus ausstellte, im Mergentheimer Forum in der Au eine Mischung aus Alt und Neu, die seine künstlerische Bandbreite erleben lässt: Um die Bronzen, die jahrelang in Kellern und Garagen lagerten, gießen lassen zu können, jobbte er in einer Gießener Nachttankstelle. Nur einzeln konnte er die aus Wachs aufgebauten Stücke gießen lassen, die er anschließend bearbeitete, patinierte, teilweise mit Farb- und Goldakzenten fasste. „Die Galerien wollten Neues zeigen,“ erklärt er dem angesichts des Reichtums durchaus verblüfften Publikum, das sich zur Vernissage eingefunden hatte. Abstraktes ist darunter, Figürliches auf dünnen Beinchen, an Schrumpfköpfe und Moorleichen erinnernde 1994 entstandene Kopfwesen mit Tüchern um die pampelmusengroßen schwarzen Schädel. Unikate sind sie ebenso wie etwa der 1990 entstandene Sonnenträger, und von deutlichem Unikatcharakter berichten auch die Kopftücher oder -binden, die den Köpfen ein mumienhaftes  Gepräge verleihen. „Sie standen im Garten. Im Winter. Ich habe sie angezogen.“ Richert erzählt nicht von Umdeutung, fällt nicht in orbitales Kunstgelaber. So war es eben. Und das gute Stück Stoff hatte eine Freundin vorbeigebracht.

Die Musik tanzt – in Öl auf Papier. Das kleine Werk entstand erst vor wenigen Wochen.


Ein Stück des Richertschen Gestalt-Geheimnisses ist die Absichtslosigkeit. Stundenlang kann er kneten, bis plötzlich eine Figur wächst, an Licht will. Und stundenlag kann er brüten vor dem Papier, absichtslos ansetzend, gestaltend. So entstehen Lithographien, eine ganze Serie ist im ersten Stock im Forum in der Au zu sehen, eine, von der man, lässt man sich auf sie ein, ebenso eingefangen wird wie von den ganz neuen, erst in diesem Jahr entstandenen Arbeiten wie den kleinen, sich regelrecht in die Erinnerung brennenden Ölszenen auf Papier. Das Musikertrio etwa: Wow!
Schon die Größe zieht den Blick auf die ebenfalls erst in diesem Jahr entstandenen Gemälde, die vor schwimmbadblauen Hintergrund die längst als Skulptur gestaltete Abendmahlszene neu aufgreift oder – inspiriert von Ringelnatz, Morgenstern und Co. - zum Wasserspiel lädt.
Schon die Frühwerke zeigen Richert: Selbst mit geschlossenen Augen erweisen sie sich als höchst präsente Weltbeäuger, selbst mit zurückgenommenster Mimikdarstellung geben sie ebenso ihre Kommentare ebenso dezidiert ab  wie die viel jüngeren, archaisch, steinig und tonig wirkenden plastischen Arbeiten, die mit immer noch dünnen Beinen, allerdings deutlich leibiger und auf großem Fuß die Ohren aufsperren, die Lippen schürzen, die Stirn runzeln.
Sie sind verwandt, die Lithographien, die kleinen und großen Bronzen, die großflächigen Gemälde und die Gips- und Tonarbeiten: Die kleine Bronze vorm Wasserspiel könnte aus der gleichen Arbeitsphase stammen – und ist doch durch ein Viertel Jahrhundert vom Bild, vor dem sie steht, entfernt.
Es sind spannende Arbeiten, die Richert noch bis Ende Januar im Forum in der Au präsentiert. Trotz des Umzugs nach Berlin: Dem Atelier im Forum bleibt er treu, der Kurstadt auch. Alle paar Wochen werde er hier sein, die Fans auch immer wiedermit  Ausstellungsevents im Forum und wohl auch andernorts im Taubertal einladen, sagt er zu.
Auch dann wird mutmaßlich Richert wieder nicht nur als Maler und Bildhauer zu erleben sein, sondern auch als Magier und Rezitator – James Joyce, Michel de Montaigne, Marcel Proust und Jean Genet stellte er dieses Mal den Vernissage-Besuchern sehr persönlich vor. Und dann sei auch wieder Musik dabei. Und sicher – fast wie immer – Brot, Wasser, Öl und Wein.

(Erstveröffentlichung: Fränkische Nachrichten vom 5.11.2016)

 


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